Insektenvielfalt in der Agrarlandschaft


Dr. Phillip Gienapp und Jochen Hartmann
Bildrecht: F.R.A.N.Z.-Projekt
Hamburg/Berlin/Rettmer, 25.06.2020
Einblicke

Ein Gespräch mit Dr. Phillip Gienapp vom Michael-Otto-Institut im NABU und Jochen Hartmann vom F.R.A.N.Z.-Demobetrieb Hof Hartmann über neue Maßnahmen zur Insektenvielfalt auf unseren F.R.A.N.Z.-Betriebsflächen.

Von Karl Philip Lohmann

Dr. Gienapp, Sie untersuchen die Insektenvielfalt in der Agrarlandschaft im F.R.A.N.Z.-Projekt. Warum sind Laufkäfer und Schwebfliegen für unsere Ökosysteme so wichtig?

Gienapp: Zunächst einmal sind Laufkäfer und Schwebfliegen Indikatoren für den Zustand des Ökosystems und die Insektenvielfalt in Agrarlandschaften. D.h. wir können an ihnen gut abschätzen, wie sich die Insektenpopulationen insgesamt entwickelt und eine Vielzahl von Laufkäfern und Schwebfliegen sind zumindest ein positives Signal. Genau aus diesem Grund haben wir diese beiden Organismengruppen auch in die Begleitforschung des F.R.A.N.Z.-Projektes mit aufgenommen. Aber Laufkäfer und Schwebfliegen können auch für die Betriebe der Landwirte durchaus nützlich sein, z.B. gegen Schädlinge wie Blattläuse oder im Falle von Laufkäfern gegen Schnecken. Schwebfliegen wiederum sind im Obstbau wichtige Blütenbestäuber. Insgesamt sorgt die Insektenvielfalt auch dafür, dass ein ausbalanciertes Ökosystem besteht. Um ein Beispiel zu nennen: Schlupfwespen können ihre Eier in Schmetterlingsraupen ablegen, welche dann wiederum schlüpfen und die Schmetterlingsraupe auffressen. Was hier zunächst so martialisch klingt, ist ein ganz natürlicher Vorgang und insbesondere die Raupen des Kohlweißlings können zu ernsthaften Schädlingen in der Agrarlandschaft werden.

Welche F.R.A.N.Z.-Maßnahmen sind für die Insektenvielfalt besonders ausschlaggebend?

Gienapp: Blühstreifen und blühendes Vorgewende liefern beispielsweise den Schwebfliegen Lebensräume, denn sie bieten ihnen mit Nektar und Pollen Nahrung. Als Brutplätze eignen sie sich hingegen nur begrenzt, da sie meist nur eine Saison bestehen bleiben. Für Laufkäfer und alle Insekten ist es daher wichtig, dass ihnen langfristige und ungestörte Lebensräume zur Verfügung stehen. So müssen geeignete Strukturen in der Landschaft den Winter über erhalten bleiben, damit Überwinterungsmöglichkeiten gegeben sind. Daher sind auch z.B. Blühstreifen und Insektenwälle als dauerhafte Maßnahmen so wichtig. Aber auch Extensivgetreide und Grünlandextensivierung wirken sich positiv aus. Lediglich bei dem Mais-Stangenbohnen-Gemenge konnten wir nach einem Jahr gesammelter Daten bislang kaum positive Effekte beobachten. Aber genau der Vergleich der Maßnahmen untereinander macht das F.R.A.N.Z.-Projekt aus, nur so können wir feststellen, wo sich der zusätzliche Aufwand wirklich lohnt und einen nennenswerten Beitrag für die Ökosysteme liefert.

Seit diesem Jahr wird eine neue Maßnahme erprobt, nämlich der Insektenwall. Das klingt so, als wenn Laufkäfer aufgehalten werden sollen.

Gienapp: Die Insektenwälle, oder auch Beetle banks, bieten Laufkäfern und vielen anderen Artengruppen zunächst wichtige Lebensräume. Auch Feldhasen nutzen die Struktur z.B. als Rückzugsraum. Sie fühlen sich dort etwas versteckter und nutzen die Insektenwälle – zwar begrenzt, aber immerhin – sogar als Wurfplatz. Insektenfressende Vögel wiederum profitieren von dem Nahrungsangebot der Insektenwälle und nutzen sie auch als ungestörte Brutplätze. Dazu gibt es zwar noch nicht viele Ergebnisse, aber erste Studien aus England und Deutschland zeigen, dass Rebhühner sich auf den Insektenwällen sehr wohl fühlen. Die Insektenwälle dienen also nicht als Barriere, sondern als Brut- und Nistplatz sowie als Zufluchtsort für verschiedene Organismengruppen.

Wie kann ich mir diese Insektenwälle vorstellen?

Gienapp: Insektenwälle sind Bereiche im Feld, in denen Erde aufgepflügt wird. Sie sind in der Regel zwei Meter breit und bis zu einem halben Meter hoch. Wichtig ist zu betonen, dass Erde nicht einfach aufgeschüttet werden soll, sondern von möglichst tief hochgeholt wird. Der hochgepflügte Unterboden ist nährstoffarm und enthält keine Samen, dadurch bleibt die Fläche des Insektenwalls länger frei von Bewuchs. Normalerweise wollen Landwirt*innen nicht tiefer als den Mutterboden pflügen, im Falle der Insektenwälle ist jedoch genau dies gewünscht.

Um einen optimalen und vielfältigen Lebensraum zu bieten, empfiehlt sich parallel zum Insektenwall die Anlage von Blühstreifen als Puffer. Diese sind wichtig für Brutvögel, da Randstrukturen ihnen Brutplätze bieten. Die Insektenwälle sind durch die Blühstreifen für potenzielle Räuber weniger auffällig und schützen so zusätzlich die Brutplätze. Außerdem dienen sie als Pufferstreifen und verhindern, dass Insektizide direkt auf dem Insektenwall landen.

Herr Hartmann, Sie gehören mit zu den ersten Landwirt*innen, die die Insektenwälle auf den F.R.A.N.Z.-Flächen angelegt haben. Gratulation! Wie erfolgt die Umsetzung?

Hartmann: Wir haben mittlerweile insgesamt 1,7 Kilometer an Insektenwällen, wovon der längste 650 Meter ist. Je nach Länge des Insektenwalls müssen für die Anlage ein paar Stunden eingeplant werden, aber danach ist es eigentlich kein Aufwand mehr. Und wenn man erstmal weiß wie es geht, dann verläuft die Arbeit auch schneller. Der Insektenwall wird angelegt, indem wir mehrmals mit dem Pflug die Strecke abfahren und Schritt für Schritt den Wall aufpflügen. Es geht darum die Erde von beiden Seiten in nur eine Richtung zu schieben, das erfordert ein wenig Fingerspitzengefühl. Je nach Höhe, die man erreichen will, kann der Traktor dann auch mal ein bisschen in die Schräglage kommen. Für die Blühstreifen drillen wir die Samen nicht tief in den Boden, sondern walzen die Blühsaat eher oberflächlich ein. Viele der Samen sind ja Lichtkeimer und sollen daher nur leicht von Erde bedeckt sein. Sobald der Insektenwall angelegt ist, muss erst nach ein bis zwei Jahren entschieden werden, ob wieder Hand anzulegen ist.

Was ist die größte Herausforderung beim Insektenwall?

Hartmann: Die größte Herausforderung beim Insektenwall ist tatsächlich nicht die praktische Umsetzung, sondern das Umdenken im Kopf. Als Landwirt lernt man eigentlich, die Felder immer schön ordentlich anzulegen und die größten Bedenken hat man bei der Verunkrautung. Wir haben aber mittlerweile festgestellt, dass wenn man die Maßnahmen ordentlich anlegt, man letztendlich am wenigsten Arbeit hat – gerade beim Unkraut. Und wenn wir sehen, wie die Tier- und Insektenwelt solche Strukturen nutzt, dann lohnt sich das bisschen Aufwand auf jeden Fall.

 

Worauf kommt es bei der Platzierung der Insektenwälle an?

 

Hartmann: Die Insektenwälle können am besten entweder in der Mitte des Feldes oder zwischen zwei Feldern umgesetzt werden. Außerdem achten wir darauf, dass die Insektenwälle nicht bis an den Rand des Feldes reichen. Einerseits werden dadurch die Schläge nicht voneinander getrennt und andererseits gibt uns den Platz zum Manövrieren. Das Ziel ist es ja zusätzliche und vielfältige Randstrukturen zu schaffen. Wenn es also am Rand des Feldes z.B. bereits einen Graben gibt, dann legen wir den Insektenwall lieber dort an, wo es noch nichts gibt. Auch wenn es nicht dasselbe ist, können wir den Insektenwall in dieser Hinsicht mit Hecken oder Knicks vergleichen – mit dem Unterschied, dass auf den Insektenwällen wegen des mageren Bodens nichts wächst. Die Vielfalt der Strukturen in der Agrarlandschaft ist es, worauf es uns hier ankommt.

 

Dr. Gienapp, wie wird die Insektenvielfalt in der Agrarlandschaft untersucht?

 

Gienapp: Auch hier erweitern wir innerhalb des F.R.A.N.Z.-Projekt im Jahr 2020 unsere Möglichkeiten und haben sogenannte Malaise-Fallen aufgestellt. Mit denen fangen wir Fluginsekten und sie sind eine effektivere Methode als z.B. der klassische Kescher. Mit den Malaise-Fallen können wir deutlich mehr Arten nachweisen und erhalten auch einen besseren Überblick über die Entwicklung von Nützlingen auf den Ackerflächen. Mittelfristig wollen wir unsere Malaise-Fallen auf allen F.R.A.N.Z.-Betrieben aufstellen, derzeit hängt es jedoch noch an Lieferengpässen.

 

Wie kann ich mir diese Malaise-Fallen vorstellen?

 

Gienapp: Bei den Malaise-Fallen handelt es sich um eine Art Insektenreuse. Wie diese am Ende aussieht hängt vom Typ der Malaise-Falle ab, aber im Prinzip werden mehrere Netze aufgehangen und mit zwei Fanggefäßen verbunden, eines oberhalb und eines unterhalb der Netze. Die Malaise Falle kann einfach an einem Baum aufgehängt werden, auf dem Feld nutzen wir dazu leichte Gerüste. Ich habe z.B. meine eigene Konstruktion aus drei Holzlatten. Die Insekten fliegen zufällig in die Netze und lassen sich entweder in das untere Fanggefäß fallen oder fliehen nach oben und landen im oberen Fanggefäß. Um sie zu konservieren nutzen wir eine Zuckerlösung, die nicht so schnell wie Alkohol verdunstet und es werden damit keine anderen Insekten angelockt. Die Anlockung von Insekten wollen wir nämlich vermeiden, denn das würde unsere Ergebnisse verzerren und eine höhere Dichte an Insekten vortäuschen.

 

Herr Hartmann, wie stehen Sie als Landwirt zu den F.R.A.N.Z.-Maßnahmen nach ihren ersten drei Jahren Erfahrung?

 

Hartmann: Am Anfang habe ich mich hauptsächlich auf die Umsetzung der Maßnahmen konzentriert, die leicht und kurzfristig umzusetzen sind und auch schnell wieder ersetzt werden können. Mittlerweile gefallen mir allerdings die Maßnahmen am besten, die wir langjährig umsetzen. Diese sind nicht unbedingt aufwändiger als kurzfristige Maßnahmen, aber sie sind ökologisch einfach wirksamer und das merken wir auf dem Feld. In den letzten drei Jahren haben wir da spannende Beobachtungen gemacht. Zunächst war es so, dass immer eine Art dominant war: im ersten Jahr waren es die Bienen und Hummeln, im zweiten Jahr die Käfer und im dritten Jahr die Schmetterlinge. Aber jetzt beobachten wir, dass alle Arten gleichmäßig vertreten sind. Das motiviert natürlich ungemein und die Kinder freuen sich über die neue Vielfalt auch!

 

Wie nehmen die Kinder die biologische Vielfalt denn wahr?

 

Hartmann: Ich glaube, wir können Kindern den Naturschutz nur näherbringen, indem wir es ihnen vorleben. Kinder müssen verstehen, wie die Dinge zusammenhängen und es selbst auf dem Feld und in der Natur erleben. Mein Sohn pflegt nun schon sehr leidenschaftlich seinen eigenen kleinen Garten und sorgt sich dann darum, dass die Gurken in der Nähe von Bienen sind, damit die ihre Blüten bestäuben. Derartige Zusammenhänge haben wir ihm nie direkt beigebracht, die hat er selbst erlebt und macht sich nun seinen eigenen Reim.

 

Und wie nehmen andere Landwirte und Nachbarn die Maßnahmen war?

 

Hartmann: Ich erlebe, dass sich immer mehr Menschen dafür interessieren, was wir hier machen. Andere Landwirte kommen auf mich zu, weil sie auf die ungewohnten Strukturen der Maßnahmen aufmerksam werden und dann fragen sie mich, wie wir das machen. Genauso ist es bei Menschen, die an unseren Feldern vorbeikommen und sich fragen, warum es hier so schön blüht, oder was die merkwürdigen Feldfenster zu bedeuten haben. Genau deswegen haben wir auch Informationstafeln am Feldrand aufgestellt, die die Maßnahmen den Spaziergängern erklären und neugierig machen. So kommt man leicht ins Gespräch und so können wir auch Aufmerksamkeit und ein Umdenken bewirken.

 

Dr. Gienapp, Herr Hartmann, vielen Dank für dieses Gespräch!